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Der Saal ist voll im Pavillon der Hoffnung in Leipzig. Das Publikum ist gemischt, junge Menschen, ältere Menschen, Menschen mit dunkler und mit heller Hautfarbe, Frauen und Männer, Kinder.
Welcome2stay ist eine Konferenz, die sie alle vereinen soll, alle, die in irgendeiner Art und Weise für die Themen Flucht, Migration und Antirassismus aktiv sind. Diejenigen, die in ihrer Kommune bei der Unterbringung von Geflüchteten helfen, diejenigen, die ehrenamtlich Deutschkurse geben, Behörden- und Arztbesuche begleiten. Diejenigen, die öffentlich die Stimme erheben, für die, die es häufig nicht können: Die Menschen, die zu uns flüchten.
Doch auch sie sind hier und ihr Leid ist bedrückend nah. Der Pavillon der Hoffnung liegt auf dem alten Messegelände im Südosten Leipzigs, um ihn herum sind viele Geflüchtete in Lagern untergebracht. Zu viele, zu weit weg vom Stadtzentrum, wo ein Aufeinandertreffen mit den Leipziger*innen möglich wäre.
Aber an diesem Wochenende kommen wir zu ihnen, wollen sie einbinden, mit ihnen, statt über sie diskutieren. Im ersten Panel diskutieren wir aber vor allem erst einmal über die sogenannte „Willkommenskultur“. Viele hier stören sich an diesem Begriff, weil er durch die verfehlte Regierungspolitik gebrandmarkt ist – Merkel, die „Willkomenskanzlerin“. Die Basis für diese Kultur in Deutschland seien die vielen solidarischen Einzelpersonen, die sich in ihren Wohnorten für Geflüchtete einsetzen, meint die Runde aus Massimo Perinelli (Welcome2stay), Tanja van de Loo (Recht auf Stadt – never mind the papers, Hamburg), Turgay Ulu (Oranienplatz Berlin Refugee Movement), Nasim Lomani (Hotel City Plaza Athen) und Juliane Nagel (LinXXnet Sachsen). Dadurch, dass viele Bürger*innen mehr und mehr mit den Geflüchteten in Kontakt kämen, entstünden neue emotionale Bindungen, die rassistische Spaltungen immer wieder überwinden könnten. Eine neue Subjektivität werde geschaffen – man rede nicht mehr nur über die Geflüchteten, sondern über Elias aus dem Deutschkurs.
Foto: Welcome2stay
Ganz anders geht die EU mit ihnen um, sagt Nasim Lomani, wenn er über sein Engagement spricht. Nach dem EU-Türkei-Abkommen im März 2016, mit dem Merkel die Geflüchteten aussperren wolle, seien diese in Griechenland gewissermaßen gefangen gewesen und wurden in Massenlagern unter katastrophalen Bedingungen versteckt. Eine Gruppe von Aktiven besetzte das City Plaza Hotel in Athen und schuf dort Wohnraum für 400 Geflüchtete – mitten in der Stadt.
Statt der erwarteten Diskussion über die Unterbringung von Geflüchteten geht es wieder und wieder um unsere Art, die Geflüchteten willkommen zu heißen. So auch beim zweiten Panel am Samstagnachmittag. Diana Henniges, Gründerin von Moabit hilft! ist es ein Anliegen zu sagen, dass sie zu Beginn ihrer Arbeit feststellen musste, dass Humanität in unserem Land nicht selbstverständlich sei. Kaum jemanden hätten am Anfang die ewig langen Schlangen mit Hunderten von geflüchteten Menschen vor dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin interessiert. Bis sie Moabit hilft! gründete … Dem hält Tresor von der selbstorganisierten Geflüchteten-Organisation Voix des migrants (laut)stark entgegen. Die Willkommenskultur sei gescheitert, weil sie die Geflüchteten zumeist bevormunde: Die Menschen wollten keinen Fisch, sondern sie wollten lernen zu fischen, dichtet er das Sprichwort um.
Wir lernen: Diese „Willkommenskultur“ besteht nicht nur aus uns, den gut situierten Deutschen, die es sich leisten können zu helfen. Sie besteht vor allem auch aus Einwander*innen, die schon länger in Deutschland leben und aus Geflüchteten, die seit ein paar Monaten hier sind. Sie wollen den Menschen, mit denen sie das Erlebnis Flucht verbindet Unterstützung bieten und beitragen, sie in Deutschland zu integrieren.
Häufig wird jedoch genau diese Gruppe nicht als Teil der solidarischen Bürger*innen wahrgenommen. Das beklagt auch die Referentin von Glokal e.V, die auf Geflüchteten-Märschen selbst als solche abgestempelt würde. Zusammen mit einem Vertreter von ISD.e.V (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) gibt sie den zweiten Workshop, an dem ich an diesem Tag teilnehme. Unter dem Titel „Antirassismus in der Solidaritätsarbeit“ versammelt sich eine große Gruppe in dem mit Stellwänden abgetrennten Bereich der Halle. Letztendlich geht es hier aber eher um die genauso spannende Problematik von deutschem Kolonialismus und dessen Auswirkungen bis heute. Zwei sehr ähnliche Zitate ohne Autor*in und Entstehungsjahr werden an die Wand geworfen, in denen der afrikanische Kontinent als unfähig zum Fortschritt und nur nützlich für die körperliche Ertüchtigung dargestellt wird. Die Auflösung ist ein echter Aha-Moment: Das eine stammt von Hegel aus dem Jahr 1822, das andere soll Sarkozy wörtlich bei seiner ersten Afrika-Reise als französischer Präsident 2005 der afrikanischen Jugend unterbreitet haben. Inwiefern dieses Vorgehen belastbar oder eher entkontextualisiert ist, wird ebenso diskutiert – das ist das beeindruckende an Welcome2stay. Kein Umstand wird als selbstverständlich, kein Begriff als unanfechtbar wahrgenommen.
Foto: Welcome2stay
So geht es auch im ersten Workshop zum Thema Klimagerechtigkeit zu. Nachdem wir uns über Klimawandel als Fluchtursache ausgetauscht haben, kommt schnell eine Diskussion über das Wort „Klimaflüchtling“ zustande. Sinnvoll sei dieser, weil so viele Menschen für die neu erscheinende Ursache Klima sensibilisiert würden, auch könne sich jede*r etwas darunter vorstellen – meinen die Einen. Er mache fälschlicherweise den Eindruck, dass das Klima selbst und nicht der Mensch die Verantwortung trage und stütze nur weiter die Klassifizierung und damit einhergehende Spaltung von Geflüchteten in „guter Flüchtling“/ „böser Flüchtling“ – meinen die Anderen.
Abschließen tue ich die intensive Workshop-Phase an diesem Tag mit der Frage „Was tun gegen den rechten Rollback?“. Die Vertreter*innen mehrerer antirassistischer Organisationen von ANTIFA bis Aufstehen gegen Rassismus referieren über ihr Engagement gegen Rechts. Hier geht es (endlich) zur Sache: Eine mehr und mehr emotionale Diskussion über die Linke entbrennt. Die Frage, ob die radikale Linke ihre Positionen abgemildert nach außen tragen sollte, um einen größeren Teil der Bevölkerung zu erreichen und so ein solidarisches Denken in der breiten Gesellschaft zu verankern oder ob gerade die Entschiedenheit ihrer Forderungen die eigentliche Stärke ist, spaltet die Gruppe gewissermaßen. In einem Punkt sind wir uns aber alle einig: Wir wollen keinen Aufstand der anständigen, wir wollen eine anständigen Aufstand.
Auseinander gehen tun wir mit der Verabredung uns wieder zu treffen. Am 4. September, einen Tag nach der großen Aktion mit Kundgebung und Konzert in Berlin (organisiert von Aufstehen gegen Rassismus), zu der viele Aktive aus den verschiedenen Initiativen und Organisationen anreisen werden, wollen wir weiter diskutieren und die Bewegung entwickeln.
Denn wir wissen: Die Solidaritätsbewegung ist divers, es gibt viele verschiedene Ansätze, viele (auch gegensätzliche) Meinungen darüber, wie wir Menschen bei uns integrieren können, ob es überhaupt eine deutsche Kultur gibt, die wir ihnen vermitteln müssten, was wir von ihnen – den geflüchteten Menschen – und von uns erwarten können und sollten. Doch wir alle kämpfen für das Gleiche: für das Recht zu kommen, zu gehen und zu bleiben.
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Die Pressemitteilung von Welcome2stay zur Konferenz findet ihr hier. Dort gibt es auch die Möglichkeit, sich die Panels im Nachhinein anzusehen.
Das flickr-Album von Welcome2stay mit mehr schönen Bildern vom Wochenende findet ihr hier.
Die nächsten Termine:
Am 18. und 19. Juni finden in Berlin, Leipzig, Hamburg, München und Bochum Menschenketten gegen Rassismus statt.
Am 3. September ist eine Großaktion mit Kundgebung und Konzert von Aufstehen gegen Rassismus in Berlin geplant. Am 4. September findet dann das nächste Treffen von Welcome2stay statt, ebenfalls in Berlin.